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              |  |  | Erschienen in: esotera 10/1995
                (Seite 20-25) |  Von der Meise geküßtVerständigung zwischen Mensch und Tier bis
              hin zur Telepathie ist für Reinhart Brandau etwas ganz Alltägliches.
              In Jahren engsten Zusammenlebens mit ungezähmten Wildvögeln,
              so behauptet er, habe er gelernt, ihre „Sprachen" zu
              verstehenVon Ulrich Arndt    "Jüp dschü", ruft die kleine
              Meisenfrau, die zum Fenster hereingeschwebt und schnurstracks auf
              dem Kopfkissen des Bettes direkt vor Reinhart Brandaus Nase gelandet
              ist. "Jüp dschü", tönt es nochmals aus
              ihrem Schnäbelchen, und vorsichtig, aber hartnäckig zupft
              sie an seinen geschlossenen Augenlidern. „Das bedeutet soviel
              wie 'Guten Tag' ", dolmetscht Brandau mir. Gemeinsam schauen
              wir uns in seiner schmalen Wohndiele ein von ihm gedrehtes Video über
              diese Begegnung zwischen Mensch und Vogel an, die mehr als außergewöhnlich
              ist. Denn nicht eine langwierig dressierte oder durch langes Zusammenleben
              mit Menschen zahm gewordene Meise agierte hier vor der Kamera,
              sondern ein wilder Vogel. Eines Tages war er, wie Brandau mir erzählt,
              auf genau dieselbe Weise, wie eben im Video gesehen, zum offenen
              Fenster hereingeflogen.  Per
              Videofilm (hier eine Aufnahme daraus) hielt Brandau seine außergewöhnlichen
              Begegnungen mit der kleinen Meisenfrau fest. Hier zupft sie ihn
              an den Augenlidern, um ihn zu wecken
   Schon die einfache Stippvisite eines wilden Vogels
              in der eigenen Wohnung, die nicht auf einem Irrflug beruht, wäre
              für jeden Normalbürger ein spektakuläres Ereignis
              - nicht jedoch für den Maler, Bildhauer und Goldschmied Reinhart
              Brandau. Die unterschiedlichsten Vögel - von Singdrossel und
              Fliegenschnäpper bis zur Nebelkrähe - waren bereits bei
              ihm zu Gast. Auch viele Meisen, manchmal gleich ein ganzer Schwarm
              von 20 bis 30 auf einmal, kommen zu ihm „zum Frühstück".
              Einzigartig aber sei auch für ihn, daß diese Meisenfrau
              allein kam und offenbar wußte, erst wenn dieser menschliche
              Riese wach wäre, könne sie eines der geliebten Cashewnüßchen
              von ihm bekommen. So jedenfalls interpretiert Reinhard Brandau
              das ungewöhnliche Verhalten des Vogels. „Ja mehr noch,
              sie hatte offenbar mit ihrem Verstand etwas Entscheidendes erkannt
              - nämlich den Zusammenhang zwischen Wachsein und offenen Augen
              und das anatomische Merkmal, daß sich hinter den geschlossenen
              menschlichen Lidern die Augen befinden", hebt er hervor. Schließlich
              sei die Meise ja nicht auf seinem Körper herumgehüpft,
              habe ihn weder in die Wange gepickt noch am Ohr gezwickt. Über
              viele Wochen hinweg wurde der Maler auf diese Weise von der kleinen
              Meisenfrau „wachgeküßt", so daß er
              diese Begegnungen problemlos mit Videokamera und Fernauslöser
              filmen konnte. 
              
                | „Ethik" der
                  Nebelkrähen |  
                | Über viele Monate hinweg zog Reinhart
                  Brandau ein Nebelkrähenbaby groß; noch Jahre später
                  besuchte Mecki, wie er den Vogel genannt hatte, ihn regelmäßig.
                  Aus dem Verhalten des Vogels und durch „gedankliche Kommunikation" erfuhr
                  der „Vogelvater" von einer Art „ethischer
                  Gebote" der Rabenvögel, zu denen unter anderem Dohlen,
                  Elstern, Eichelhäher, Kolkraben und eben die Krähen
                  gehören: Necken, hinters Licht führen und im Spiel kämpfen ist erlaubt,
            solange alle Beteiligten damit einverstanden sind.
 Wenn man seinesgleichen begegnet, ist er durch Begrüßung
            zu achten, damit seine Würde nicht angetastet wird. Wer sich
            dem Heim nähert, muß sich vorstellen und bescheiden fragen,
            ob er näher kommen darf. Bei Zuwiderhandlung erfolgt ein körperlicher
            Verweis.
 Du darfst nicht betrügen.
 Du darfst nicht über andere reden.
 Du darfst nicht über andere lachen oder sie verächtlich
            machen.
 Du sollst Vater und Mutter ehren, auch indem du darauf achtest, daß sie
            sich nicht ungestraft danebenbenehmen.
 Du darfst anderen keinen Schaden zufügen, sie verletzen oder
            gar töten. (Andere sind wie beim Menschen seinesgleichen. Leichte
            Verletzungen als gerechte Strafe bilden die Ausnahme.)
 Du sollst nicht ehebrechen, sondern deinen Gefährten ehren und
            lieben über den Tod hinaus. (Nebelkrähen sind ihrem Partner
            treu, auch wenn er nicht mehr am Leben ist.)
 Du darfst fremdes Eigentum, das dir als solches bekannt ist, nicht
            antasten.
 |  Plötzlich ertönt ein lautstarkes Piepen
              und Fiepen, doch nicht aus Brandaus Amateurvideo, sondern in unmittelbarer
              Nähe unserer Stühle. Zwei winzige halbnackte Schwalbenkinder
              sowie ein Amsel- und ein Starenbaby, die Brandau zur Zeit großzieht,
              verkünden ihren Hunger. In einem „Nest" aus Karton
              liegend, sperren sie ihre gelben, roten und orangefarbenen Schnäbel
              weit auf. Ein halbwüchsiger Star und vier Amseln, die auch
              noch keine fünf Wochen alt sind, erforschen unterdessen hüpfend
              und flatternd das Zimmer. Nachdem Brandau den Hunger der Vogelbabys
              gestillt hat, erhalten auch die gefiederten „Schulkinder" im
              Nachbarzimmer eine Mehlwurm-Mahlzeit. „Beobachten Sie, was
              ,Füßchen` gleich machen wird", lenkt der Vogelvater
              meine Aufmerksamkeit auf eine der jungen Amseln, die ihren Namen
              einem schief gewachsenen Fuß verdankt. Mit wachsender Verblüffung
              sehe ich zu, wie das Amselkind seine Portion Würmer keineswegs
              komplett verspeist. Einige der weißen, weichen Exemplare
              trägt „Füßchen" schnurstracks aus dem
              Nachbarzimmer zu den „Vogelbabys" und füttert sie
              damit - und das, obwohl die Kleinen in diesem Moment weder geschrieen
              haben noch durch ihre geöffneten Schnäbel einen eventuellen „Fütterreflex" bei
              der jungen Amsel hätten auslösen können - zumal
              diese sie vom Nebenraum aus überhaupt nicht sehen konnte.
              Geradezu selbstlos verschenkt „Füßchen" dennoch
              seine Leckerbissen an die Kinder einer völlig anderen Vogelart.
              Dabei stößt sie zartklingende, glucksende Töne
              aus. „Das sind Laute der Freude", erklärt Brandau
              mir und meint weiter „Es ist sehr ungewöhnlich und meines
              Wissens auch den Ornitologen bisher völlig unbekannt, daß ein
              Vogeljunges mit allem Ausdruck von Freude andere zu füttern
              beginnt, statt sich selbst den Bauch vollzuschlagen."  Harmonie
              unter Vögeln: Eine halbwüchsige Amsel füttert Schwalben-,
              Amsel- und Starenbabys
    Kaum habe ich mich von meiner Verwunderung erholt,
              als schon die nächste noch größere Überraschung
              folgt: Ein kleiner Grünfink untersucht den Boden seiner „Pappkartonwohnung" und
              stöbert ein Getreidekorn auf. „Willst du nicht lieber
              einen Mehlwurm", sagt Brandau mehr zu sich selbst und ohne
              erkennbare Anzeichen, unsere Unterhaltung zu unterbrechen und den
              angebotenen Wurm aus dem Nachbarzimmer zu holen - doch sofort läßt
              der Vogel das Körnchen aus dem Schnabel fallen, springt auf
              den Kartonrand und sperrt den Schnabel sperrangelweit auf.Ich bin völlig verblüfft. Kann es sein, daß dieser Grünfink
        tatsächlich versteht, was Brandau ihm sagt? Wohne ich hier einer
        allem Anschein nach reibungslos funktionierenden Kommunikation zwischen
        Mensch und Tier sowie unter verschiedenen Vogelarten bei?
 Erst Seelenzuspruch läßt
              die Vögel gesunden  Immer neugieriger bin ich darauf, mehr über
              den Menschen Reinhart Brandau, diesen „Dr. Doolittle" von
              Worpswede, zu erfahren. Seit seiner Jugend, erzählt er mir,
              zieht er bereits Vogelkinder groß und pflegt kranke und verletzte
              Tiere. 1936 in Thüringen geboren, wuchs er in England und
              Deutschland auf und war zunächst von moderner Technik fasziniert.
              Bis zu seinem 25. Lebensjahr forschte er für den Flugzeugbau
              nach Verbesserungen der Aerodynamik und konnte damals auf eine
              gesicherte Zukunft mit rosigen Aussichten für Karriere und
              Einkommen blicken. Doch Reinhart Brandau entschied sich für
              ein anderes Leben. Als freischaffender Bildhauer, Maler und Goldschmied
              zog sich der junge Mann in das Künstlerdorf Worpswede zurück. „In
              meiner Jugend habe ich geglaubt, daß Technik und Technologie
              mir das geben könnten, wonach ich unbewußt gesucht habe",
              erinnert sich Brandau. Doch weder dort noch in der Kunst habe er
              das Gesuchte gefunden, sondern erst in der „tiefen" Begegnung
              mit seinen gefiederten Freunden. „Sie sind das Beste, was
              mir bisher je ,passiert` ist", gesteht er.  „Vögel sind sehr
              intelligent und handeln nach einer festen Ethik" Heute ist der 59jährige in seinem Wohnort längst
              als „Vogelvater" bekannt. Im Erdgeschoß einer
              großen Villa, die von einem Wäldchen umgeben ist, hat
              er sein Domizil. Das Fenster in seinem Schlafzimmer steht fast
              immer offen, und die Diele sowie ein daran anschließendes
              Zimmer stellt er ständig als „Vogelbauer" zur Verfügung.
              Die Wohnungstür bleibt geöffnet, damit die meist jungen
              Vogelgäste nicht zu sehr der Natur entwöhnt werden und
              jederzeit einen „Ausflug" machen können. Allerdings
              endet ein derartiger Trip ins Grüne für die Piepmätze
              schon nach etwa vier Metern an einem Maschendraht. 
              
                |  | Links: wilde Vögel als Gäste
                  zum Frühstück; unt.: Buchheld und Autor; ganz u.:
                  Vertrauensbeweis - eine wilde Misteldrossel läßt
                  sich ihre Schwingen auseinanderziehen |  
                |  |  
                |  |  Angesichts dieser - wenn auch großzügigen
              - Voliere kommen Zweifel auf: Ist es doch nicht so weit her mit
              dem einvernehmlichen Zusammenleben von Mensch und Tier, frage ich
              mich. Brandau erklärt, er wolle mit dem überdimensionalen
              Käfig „nicht die Flucht der Vögel verhindern, sondern
              die Voliere dient im Gegenteil zu ihrem Schutz vor wildernden Katzen".
              Tatsächlich versucht keiner der anwesenden Vögel, durch
              die Maschen zu schlüpfen, und keiner flüchtet in die
              entferntesten Ecken des Drahtverhaus. Statt dessen hüpfen
              die Piepmätze ganz natürlich durchs Gras, schauen in
              alle Winkel und wenden jedes Steinchen auf der Suche nach einem
              Leckerbissen.Der aufopferungsvolle „Vogelvater" wurde mittlerweile auch
        zum Vorbild für andere Menschen in der Umgebung von Bremen. Vereinzelt
        beginnen auch sie, junge und kranke Vögel vor dem Tod zu bewahren
        und aufzupäppeln. Diese „Vogeleltern" berät er gern über
        das richtige Futter, wie man Vogelparasiten bekämpft und was sonst
        noch bei der Pflege der jeweiligen Vogelart beachtet werden muß. „Eine
        Unfallversorgung und das bloße Füttern aber reichen nicht
        aus", betont Brandau. Ohne „Seelenzuspruch" würden
        viele der gefiederten Patienten dennoch die Flügel hängen lassen.
  Raben können menschliche
              Gedanken lesen  Erst vor relativ wenigen Jahren, nämlich 1987,
              wurde Brandau bewußt, daß er mit den Vögeln „sprechen" und
              sogar viele ihrer Antworten verstehen kann. „Es war ein harter
              innerer Kampf mit meinem damaligen Weltbild, das zu akzeptieren",
              gesteht er. Immer wieder habe er sich gesagt, es sei wohl doch
              eher seiner allzu blühenden Phantasie zuzuschreiben, wenn
              er eine Kommunikation zwischen Mensch und Tieren bis hin zur Telepathie
              für möglich hielt. Die Erlebnisse mit der Nebelkrähe
              Mecki und einer Singdrossel, die er in Büchern festgehalten
              hat (siehe Literaturhinweis S. 25) belehrten ihn jedoch eines Besseren.
              Schon drei Monate vor der ersten Begegnung mit Mecki war in seinen
              Gemälden immer wieder ein großer Rabenvogel als „weiser
              Beschützer oder geheimnisvoller Bote" aufgetaucht. Als
              Brandau dann einen nur wenige Tage alten Nestling - nämlich
              die Krähe Mecki - fand, ahnte er nicht, daß gerade dieser
              Vogel die in seinen Bildern vorausgeahnte Rolle übernehmen
              sollte. „Durch Mecki und sein eindeutiges Verhalten und Reagieren
              habe ich endlich einsehen müssen, daß Vögel - ganz
              besonders die Rabenvögel - nicht von bloßen Instinkten
              getrieben sind, sondern sehr wohl intelligent sind und nach einer
              festen "Ethik" handeln", behauptet Brandau.So ging er einmal mit seiner damaligen Lebensgefährtin, einer gemeinsamen
        Freundin und Mecki spazieren. Als die Freundin sich über Meckis
        watschelnden Gang lustig machte und ihn nachahmte, flog der Vogel sofort
        auf. „Mecki sauste tief über sie hinweg, wies sie mit einem
        Schnabelhieb auf den Kopf zurecht, ließ sich wieder nieder und
        ging weiter, als sei nichts geschehen", erinnert sich Brandau. Als
        Grund für diesen Angriff konnte er nur annehmen: Das pantomimische „Nachäffen" ist
        von Mecki als herabwürdigend verstanden worden. Das aber sei, glaubt
        er inzwischen zu wissen, nach „Raben-Ethik" (siehe Kasten
        S. 22) verboten.
 Sogar die Fähigkeit des Gedankenlesens habe Mecki tagtäglich
        und über Wochen hinweg bewiesen. So sei die Krähe zum Beispiel
        - als sie bereits erwachsen war und in Freiheit lebte - regelmäßig
        von weither zum „Mittagessen" gekommen; obwohl Brandau als
        freischaffender Künstler sehr unregelmäßige Essenszeiten
        zwischen 12 und 15 Uhr hatte, sei Mecki immer genau dann zum Fenster
        hereingeflogen gekommen, wenn er sich gerade eine Kartoffel auf den Teller
        legte. Aufgrund solcher und vieler anderer ähnlicher Erlebnisse
        steht heute für Brandau unumstößlich fest, daß Vögel
        nicht nur menschliche Gedanken „lesen" könnten, sondern
        auch „ein sehr differenziertes Gefühlsleben haben".
 
              
                | Wörterbuch kohlmeisisch-deutsch |  
                | Während der häufigen Besuche
                  einer Kohlmeisenfrau sowie täglicher Stippvisiten ganzer
                  Meisenschwärme „zum Frühstück" lauschte
                  Reinhart Brandau über viele Monate hinweg aufmerksam ihrem
                  Gezwitscher. Während bei anderen Vogelarten die Bedeutung
                  ihrer Laute durch Rhythmus und Tonhöhe variiere, sei die
                  Meisensprache stärker durch das Aneinanderreihen von Silben
                  - ähnlich menschlicher Sprache - geprägt. Dank seiner
                  telepathischen Kontakte mit der Kohlmeisenfrau glaubt Brandau
                  mittlerweile über 50 Lautbedeutungen eindeutig entschlüsselt
                  zu haben. Hier einige Beispiele: dschü (je nach Betonung) - ja, oder: du
 jüp dschü - Guten Tag
 pit	- Gefahr
 si zü - Ich bin da.
 si si (je nach Betonung)	- danke, oder: Ich mag dich!
 ti ti ti fit	- Kümmere dich sofort um die hungrigen Kinder!
 tschi	- nein
 tschi tschi	- Ich will nicht! oder: Du hast mir garnichts zu sagen!
 tschit tschit	- Vorsicht, verdächtige Person
 tschähähähähä - So ein Scheiß aber
            auch!
 tü tüt	- schnell weg, ein Ungeheuer
 tüt tüt (laut und kurz)	- ein Mensch
 ü ü - Ich bring 'dir' was.
 ü e üe üe	- Komm, ich schenk' dir 'was!
 zizizähwuit	- Laß mich, du tust mir weh!
 zi zä tschä tschä tschä - Hau ab, ich mag dich
            nicht!
 zi zi ze	- Wollen wir weiterfliegen?
 zi zi ze ze	- Ja, laßt uns weiterfliegen?
 zi zi ze ze zize	- Was ist, wollt ihr nun endlich weiter oder nicht?
 zi zi zi (laut und dringend) - Wo bist du nur?
 zi zi zi zi (Antwort)	- Ich bin doch hier!
 zi züt	- Sei lieb zu mir!
 |   „Zi züt", ruft die Meise im wieder
              eingeschalteten Videofilm wie zur Bestätigung (laut Übersetzung
              des „Dr. Doolittle" von Worpswede bedeutet diese Äußerung „Sei
              lieb zu mir"). Bei den darauffolgenden Szenen und Brandaus
              Erklärungen dazu traue ich meinen Augen und Ohren kaum noch.
              Aus dem Mund des Malers nimmt die wilde Meise mehrmals ohne Scheu „schnabelgerecht" zerkleinerte
              Nußstückchen entgegen. Ein größeres Stückchen
              aber, an dem sie eigentlich in Ruhe eine Weile schlemmen könnte,
              wirft sie einfach zur Seite. „Es geht hier nicht mehr um
              das Futter als bloße Nahrung", erklärt der Vogelvater
              mir, „die Nußstückchen sind eine ,Liebesgabe',
              die unter anderem eß- und schnabelgerecht sein muß,
              sonst wird sie nicht akzeptiert." Neues Zusammenleben mit Tieren
              nötig  So unglaublich auch klingt, was Brandau mir weiter über
              seine „Kommunikation" mit der kleinen Meisenfrau berichtet,
              bin ich doch aufgrund meiner eigenen Beobachtungen seines Zusammenlebens
              mit den Vögeln bereit, ihm auch das noch zu glauben: „Dieses
              Füttern mit dem Mund forderte die kleine Meisenfrau exakt
              von dem Tag an immer wieder ein, an dem ich ihr gesagt habe, daß sie
              ein ganz besonderer und allerliebster kleiner Vogel ist",
              behauptet Brandau. Als er ihr dieses Kompliment machte, hatte sie
              ihn bereits einige Wochen lang jeden Morgen an den Augen „wachgezupft". „Die
              Meisenfrau aber muß diese Worte und meine Gefühle als
              eine Art Liebeserklärung verstanden haben, und von da an akzeptierte
              sie deshalb nur noch eine „Mund-zu-Mund-Fütterung",
              behauptet der „Vogelvater". Ja, sie habe ihn derart „umworben",
              daß er froh war, als sie sich schließlich doch einem
              jungen Meisenmann zuwandte. Kurios sei dieses spezielle Vogel-Mensch-Verhältnis
              auch danach geblieben. „Der mir bis dahin völlig unbekannte
              Vogelgatte kam nun zu mir, holte die Nußleckerbissen und
              fütterte damit die kleine Meisenfrau auf einem Zweig vor meinem
              Fenster", erzählt Brandau.  „Auch Vögel haben
              eine unsterbliche Seele" Immer wieder habe er im Laufe der Jahre ähnlich
              verblüffende Verhaltensweisen von Vögeln erlebt, die
              von Vogelkundlern nicht erklärt werden können. Sie seien
              nur verständlich, meint Brandau, wenn man den Vögeln
              endlich eine „sensible Persönlichkeit mit einem hochentwickelten
              Bewußtsein und der Fähigkeit, mich und meine Sprache
              zu verstehen, sowie ein sehr komplexes Gefühlsleben" zugestehe.
              Weiter betont er: „Ihre Gefühle sind in der Tat von
              einer so großen Ehrlichkeit, daß sie das gewöhnliche
              Empfinden des Menschen, der angeblichen Krone der Schöpfung`,
              als primitiv entlarven und ihn darin deutlich überragen." 
              
                |  |  | Links: Vögel haben nicht nur
                  in Brandaus Leben, sondern auch in seinen Bildern eine wichtige
                  Rolle. Mitte: Brandau mit der Dohle Pucki, die er großgezogen
                  hat. Rechts: Mit Mehlwürmern werden die jungen Amseln
                  aufgepäppelt |  
                |  |   Noch beeindruckender und bewegender seien für
              ihn aber Erlebnisse gewesen, in denen er Vögel beim Sterben
              begleitete. Viele seiner gefiederten Freunde mußte er im
              Laufe der Jahre nach Krankheit oder Verletzung bereits beerdigen.
              Die letzten gemeinsamen Minuten aber hätten sein früheres
              Weltbild endgültig umgestoßen: „Für einen
              Moment scheinen sich dann völlig andere Dimensionen zu öffnen",
              behauptet Brandau. So habe er bei einem Graureiher, dessen Beine
              von Jägern zerschossen worden waren, in den Sterbeminuten
              eine Art „Bewußtseinstausch" oder „Perspektivenwechsel" erlebt. „Ich
              sah eine kurze Zeit die Welt mit seinen Augen. Ich erkannte, daß er
              von seinem nahen Tod wußte und sah, daß eine Art geheimnisvoller
              Brunnen auf ihn zu warten schien - das Tor zu einer anderen, ,tieferen`
              Welt, wie ich in diesem Moment wußte." Beide, Mensch
              und Vogel, hätten in diesem Moment erkannt, daß es eine
              unsterbliche Seele gäbe, und sie seien wie von einer „inneren
              Last" befreit gewesen. Still ist es in Brandaus Wohnung geworden,
              als er mir das erzählt. Für einen Moment scheinen die
              Vogelkinder innezuhalten. Und ich ertappe mich bei dem Gedanken:
              Haben sie etwa auch diese Worte Brandaus verstanden?Wie ehrlich empfunden die Schilderungen des Künstlers sind, zeigt
        sich, als er mir zwei weitere Episoden erzählt. Tränen laufen über
        seine Wangen, während er zurückdenkt; und mir scheint es, als
        sei er froh, sich endlich einmal alles von der Seele reden zu können
        - all die nach landläufiger Vorstellung unglaublichen Erlebnisse,
        für die er in seinem Heimatort nicht nur als „schräger
        Vogel", sondern vielfach sogar als „überdreht" gilt.
 „Viele Tauben habe ich gepflegt und großgezogen und stand mit einigen
auch in engem intuitiven Kontakt. Eine aber, Penny, war für mich etwas ganz
Besonderes", erinnert er sich. Diese Taube habe ihn „in ihrer ganzen
Art an meine verstorbene Mutter erinnert", versichert er. Ob er glaubt,
daß tatsächlich ihre Seele in dem Vogel wiedergeboren worden sei oder
Penny eher gleiche Charakterzüge verkörpert habe, darauf will sich
der sensitive „Vogelvater" nicht festlegen. Er hat nie esoterische
Seminare besucht und nur wenige einschlägige Bücher gelesen; allein
der tägliche Umgang mit den Tieren habe ihn über die Existenz der Seele
und ihre Wiedergeburt „belehrt".
   Alle
                Vögel, die Brandau gesundpflegt oder großzieht, genießen
                eine größtmögliche Freiheit    Daß eine solche Reinkarnation möglich
              sei, glaubt Brandau spätestens seit einem Erlebnis mit zwei
              Mehlschwalben. Trotz seiner Pflege waren die schwerkranken Mehlschwalben-Jungen
              gestorben. Im Moment ihres Sterbens aber „wußte" er,
              daß sie eines Tages wiederkehren, ihre Seelen wiedergeboren
              würden. Viele Jungvögel, darunter auch etliche Schwalben,
              hatte er seit diesem Tag großgezogen. Nach über einem
              Jahr, als er erneut zwei Mehlschwalben-Babys erhielt, „wußte
              ich irgendwo tief in mir, daß es die beiden waren".Für viele Menschen klingen derartige Berichte sehr unwahrscheinlich.
        Das liegt nach Brandaus Meinung aber nur daran, daß „sich
        der Mensch heute weit von der Schöpfung, der Natur, entfernt hat".
        Er beklagt das und mahnt: „Wir können nicht erwarten, daß das
        Zusammenleben der Menschheit gewaltfreier, liebevoller und von größerer
        Bewußtheit durchdrungen wird, wenn wir weiterhin ohne Skrupel Tiere
        ermorden und sie nicht als unsere Seelenbrüder anerkennen."
 Als ich das Haus des Worpsweder „Vogelvaters" verlasse, sehe
        ich mich mit anderen Augen um. Hüpften und umschwirrten schon am
        Morgen, als ich gekommen war, so viele Vögel zutraulich das Haus?
        Riefen sie da auch schon solch geheimnisvolle Laute? Jetzt scheint mir,
        als wüßten sie, daß sie hier nichts zu befürchten
        haben und daß hier einer ist, der sich bemüht, sie zu verstehen
        - ja, als beobachteten sie sehr aufmerksam dieses Experiment eines friedvollen
        Zusammenlebens. Zum Abschied versichert Reinhart Brandau mir: „Jeder
        kann die Vögel verstehen, man muß nur bereit sein zuzuhören."
  Literatur:Brandau, Reinhart: „Tagebuch einer Singdrossel", Bertelsmann
        Verlag, sowie „Der Rabenhorst in Kampen" und „Mecki
        bei den Menschen", beide im Reichl-Verlag
 Brandaus Amateurvideo über seine Vogelbegegnungen (Länge über
        200 Minuten, VHS) ist bei Einsendung eines Schecks über 50,- DM
        und seine Broschüre „Wörterbuch kohlmeisischdeutsch" gegen
        10, DM direkt von ihm erhältlich: Reinhart Brandau, Haus Mackensen,
        27726 Worpswede
 
 Bildquellen: ©Ulrich Arndt
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